Musikstile der Bambusflöte und Geschichte der chinesischen Musik

- von Wei-Chi Chien
chinesisches Zeichen für "Di" in der Kalligraphie

"Welchen musikalischen Stil spielt man mit der Bambusflöte / Ditzu?"

"Na, klar, mit der Bambusflöte spielt man chinesische Musik."

Leider ist die Antwort nicht wirklich so einfach. Wegen der historischen Entwicklung und der Globalisierung glaubt man heutzutage, es gäbe unter chinesischer Musik nur eine Musikstil. Das ist nicht völlig falsch. Auch wenn auf dem Musikmarkt "die chinesische Musik" angeboten wird, so ist das nur um sich von der indischen oder schottischen Musik abzugrenzen. Aber wenn man sich in die chinesische Musik vertieft, ergibt sich durch diesen "monohaften" Begriff sofort ein riesiges Problem - man findet kein klares System, um alle unterschiedlichen chinesischen Musikstücke zu analysieren bzw. zu verstehen.

Die Musik der Bambusflöte ist nur Teil von der ganzen chinesischen Musik und enthält per se schon mehrere Stile. Jeder, der Bambusflöte lernt, wird sich in seiner Ausbildung mit mindestens zwei großen Musikstilen beschäftigen - dem Nord- und dem Südstil (北派&南派). Woher kommen die zwei Stile? Um weiter die Musikstile der Bambusflöte vorstellen zu können, gebe ich in diesem Artikel eine grobe Übersicht über die Musikgeschichte der chinesischen Bambusflöte.

Zuerst aber schauen wir mal, wie es in der westlichen Welt ist. In der europäischen Musik lässt sich die Entwicklung der "klassischen" Musik bis in die Kirchenmusik zurück verfolgen. Ein klares Musiksystem wie Harmonie und Kontrapunkt, entwickelte sich in einer oder meheren "Linien" in der Geschichte. Dementsprechend lassen sich mehrere "Epochen" in der Geschichte finden. Musik von Bach, Beethoven, Chopin, Wagner usw. repräsentieren das geistige Leben der jeweiligen Epoche. Aber, haben Sie einmal etwas über "Epochen" in der chinesischen Kunst oder Musik gehört? Nein, denn es gibt keine klare Trennung von Epochen in der chinesischen Kunst, Musik oder Philosophie. Besonders für die klassische chinesische Musik gilt, dass sich ihr Musiksystem und -Stil aufgrund ihrer speziellen Herkunft in der Zeit wenig gewandelt hat.

Die "klassische" chinesische Musik kommt aus der Tradition des Konfuzianismus. Im Konfuzianismus hat Musik zwei Funktionen - für Zeremonien und für die persönliche geistige Entwicklung (禮樂/文人音樂). Zeremoniemusik wurde von einem "Orchester" gespielt. In archäologischen Funden findet man heute noch reiche Literatur, Bilder und Instrumente von dieser Musikart. Konfuzius lehrte, dass die Zeremonienmusik dem Dao der damaligen Herrscher (先王之道) folgen soll - die einzig wahre feierliche Musik. Zeremonienmusik darf deswegen nicht im Laufe der Zeit verändern. Leider ist, außer der Musik von ein paar Zeremonien (z.B. Verehrung des Konfuzius), die heutzutage noch gespielt wirde, die damalige Zeremonien-Musik verloren. Man weiß nicht mehr, wie die Musik in der damaligen Herrscher klingt. Die Herkunft der gegenwärtigen Zeremonienmusik lässt sich leider nur bis zur Sui-Dynastie (581-618) verfolgen.
Qin in der Konfuzius-Stil (Zhongni-Stil 仲尼式古琴)

Die Musik für die geistige Entwicklung wird eher mit dem Spielen von Qin assoziiert. Auch in den Gesprächen des Konfuzius wurde Qin häufig erwähnt. Qin repräsentiert den Geist der Intellektuellen. Fast alle Intellektuellen in der alten chinesischen Geschichte haben Qin gespielt. Qin wird wegen seiner Tonfarbe und Spieltechnik "das Instrument des Heiligen (聖人之器)" genannt. Da Musik spielen in diesem Fall Teil der persönlichen Ausbildung ist und der Fokus auf der Persönlichkeit und nicht auf der sachlichen Technik oder Komposition der Musik liegt, hat sich kein eindeutiger Musikstil entwickelt. Leider lässt sich, auch heutzutage keine Partitur von Qin aus der Zeit Konfuzius finden. Die älteste Qin-Partitur, die man heute gefunden hat, ist Yeshi-Diao‧Youlan (碣石調•幽蘭) aus Südlichen und Nördlichen Dynastien (420-581). Zeremonienmusik und Musik der Intellektuellen in der Zeit Konfuzius sind beide verloren. Obwohl die Tradition geblieben ist und die Nachgeborenen für eine hohe Entwicklung der chinesischen Musik gesorgt haben, ist es eine große Schade in der chinesischen Musik.

Wenn man heutzutage über die "klassische" chinesische Musikstücke (古曲) für Bambusflöte spricht, spricht man über die neue Instrumentation für Bambusflöte von der Qin-Musik, die noch vorhanden sind. Meihua-Sannong (梅花三弄) ist beispielsweise eins der altesten Musikstück für Bambusflöte, die man nach Literatur kennt. Dieses Stück wurde von Huan Yi (桓伊 ? - ?) von Jin-Dynastie (265-420) für Dí (Flöte) komponiert. Man spielt heute noch das Stück auf der Bambusflöte aber die Patitur ist nicht mehr das originale, sondern eine Transformation aus der Patitur für Qin in 1868.

In Abgrenzung zur klassischen Musik gibt es in der westlichen Musikentwicklung die Volksmusik, die relativ wenig von der Kirchenhierarchie bestimmt wurde. Unterschiedliche Musikstile existieren in unterschiedlicher Kulturen bzw. Volkern. Zum Beispiel ist der Dudelsack in Schottland sehr verbreitet, die Blockflöte (besonders die Bautechnik) in Deutschland, Irish-Flöte, Penny-Whistle in Irland, usw. In jeder Kultur singt man seine eigenen Kinderreime und Volkslieder. Dies heißt natürlich nicht, dass es nur in Schottland den Dudelsack oder die Blockflöte nur in Deutschland gibt. Vermischung und Wechselwirkung passieren zwischen unterschiedlichen Kulturen ständig. Die Entwicklung der Volksmusik ist kompliziert und multivariat.

China war in der Geschichte immer ein Staat mit über hunderten unterschiedlichen Völkern. Der Reichtum der Volksmusik existiert auch in der chinesischen Geschichte. Sie entwickelt sich und wandelt sich auch ständig. Sie wurden auch von der Zeremonienmusik oder der Musik der Intellektuellen beeinflusst. Volksmusik findet man heute nicht nur bei lokalen Künstlern sondern auch in der Literatur und Archäologie. In der Literatur ist sie häufig mit exotischer Emotion verbunden und gibt den sentimentalen Intellektuellen viel Fantasie und Gedanken bei ihren Arbeiten.

Am Anfang dieses Textes haben wir den Nord- und Südstil der Bambusflöte genannt. Die beiden sind die Volksmusik aus unterschiedlichen Gebieten in China. Die vorhandene Zeremonienmusik und Qin-Musik spielt man auch auf der Bambusflöte. Sie sind aber in der modernen Geschichte der chinesischen Musik nicht der Mainstream (nicht der sogenannte "chinesischer Stil" auf dem Musikmarkt). Lass mich weiter erklären.

Wegen der Globalisierungstendenz fängt man in den 50ern an, die chinesische Volksmusik zu modernisieren - quasi, auf Bühne zu spielen. Der chinesische Kommunismus in dieser Zeit bemüht sich, eine Musik "des chinesischen Volks" zu finden und zu entwickeln. Sehr bekannt ist der Modelloper (樣板戲) für das "chinesische Theater" in der Kulturrevolution (1966–1976). Musik des Konfuzianismus wurde unterdrückt und die Volksmusik wurde hoch gelobt. Bambusflöte als Solo-Instrument wurde von Zicun Feng (馮子存 1904-1987) in 1953 auf der Bühne erstmals gespielt. Das Stück war Xi Xiang Feng (喜相逢), ein Motiv aus dem Volkstheater, Er Ren Tai (二人台), aus dem Gebiet, der Hetao-Ebene.
Zicun Feng

Unten ist eine Aufnahme von Xi Xiang Feng gespielt von Tao Chen (陳濤). Die Musik startet nach 3min 5 und ist bis 6 min 11.

Ein anderes frühestes Beispiel ist das Stück Huan Lei Ge (歡樂歌) komponiert und gespielt von Chunling Lu (陸春齡 1921-). Dies Stück hat einen sehr typische Stil von Jiangnan Sizhu (江南絲竹) aus Süd-China. Jiangnan Sizhu ist ein kleines Performance mit vier oder fünf Spieler mit unterschiedlichen Instrumenten für die Freundschaft der Spieler. Hier ist eine moderne Aufnahme von Huan Lei Ge (歡樂歌) aber gespielt vom originalen Komponist, Chunling Lu. Sie sehen, wie alt Herr Lu schon ist (in dieser Zeit des Videos war er schon über 80) und wie gut er noch spielen kann.


In den 50er bis 60er Jahren wurde viel Volksmusik aus Nord- und Südchina mit der Bambusflöte als Solostück gespielt. Der Nord- und Südstil sind dadurch entstanden. Die Volksmusik aus den nordlichen Gebieten wurde eher mit einer kleineren Flöte (Ban-Flöte 梆笛) gespielt und Musik aus den südlichen Gebieten mit einer größeren (Qu-Flöte 曲笛). Die Spieltechnik des Nordstils und des Südstils ist unterschiedlich - kurzer Triller, großes Glissando, schneller Zungenstoß werden in Nordstil verwendet und langer Triller, Mordent, Acciaccatura, vibrato werden in Südstil verwendet. (Die Begriffe nenne ich nur um die Technik zu beschreiben. Sie sind sicherlich nicht gleich wie in der westlichen Musik.)

Diese Stiltrennung wurde in den 60er und 70er Jahren durch neue Kompositionen vermischt. Neue Musiker komponierten intensiv Solostücke für Bambusflöte und verwendeten die Technik von beiden Stile. Ein wichtiges Stück in dieser Zeit ist 早晨 (Zaochen | In the Morning) komponiert und gespielt von Songting Zhao (趙松庭 1924 -2001) in 1956, ein sehr wichtiger Flötist für Bambusflöte und Forscher der Konstruktion der Bambusflöte. Ein großes Experiment mit unterschiedlichen Techniken und Stilen ist in diesem Stück gelungen. Die Trennung von Nordstil und Südstil ist durch sein Bemühen immer kleiner geworden. Manche Leute nennen diesen Stil den "Neuen Stil (新派)". Hier ist eine Aufnahme von Yongming Zhan (詹永明), auch ein wichtiger Flötist für Bambusflöte - eine etwa moderne Interpretation. (Es tut mir sehr Leid wegen der sehr falschen visuellen Interpretation im Video.)


Mehrere Musikstile aus anderen Gebieten, zum Beispiel aus Shanshi, Tibet, Mongolei, Yunnan, Xinjiang usw., wurden später auch auf der Bambusflöte gespielt. Ein sehr bekanntes Stück aus dieser Zeit, das heutzutage immer noch gerne gespielt wird, ist Mumin Xin Ge (牧民新歌 ) komponiert und gespielt von Guangyi Jian (簡廣易 1944-2000) in1966, ist ein schönes mongolisches Stück. Jian`s späteres Leben verlieft sehr frustrierend. Er ist in 2000 in Paris gestorben. ( Man erzählt, er habe Selbstmord begangen.) Hier ist seine originale Aufnahm.


 
Heutzutage spielt man auch westliche Musikstücke und moderne Kompositionen mit der Bambusflöte. Jedoch, wenn man die "typischen" Stücke des Nordstils und Südstils spielt, muss man immer die Regel vorsichtig befolgen und nur mit einer bestimmten Technik spielen. Als Schlussfolgerung können wir allgemein die folgenden Stile in der Musik der Bambusflöte nennen:
 
1. Musik der Intellektuellen, quasi die alten Klassichen (eher mit Xiao gespielt): neue Instrumentation aus Qin-Musik auf der Bambusflöte
2. Nordstil (mit Ban-Flöte)
3. Südstil (mit Qu-Flöte)
4. Musik von mehreren Völkern: Musikmotiv aus Shanshi, Tibet, Mongolei usw.
5. moderne Komposition
6. Zeremonienmusik: selten in einer akademischen Ausbildung

Image Source:
www.huain.com

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Stellen Sie Frage oder Kommentare Sie hier. Werbungen werden entfernt.